Veröffentlicht am März 15, 2024

Die schnellste Runde entsteht nicht durch pures Gasgeben, sondern durch die bewusste Manipulation des Fahrzeuggewichts als Werkzeug zur Grip-Steuerung.

  • Bremsen verlagert Gewicht auf die Vorderachse, erhöht den Anpressdruck und damit das Grip-Potenzial der Lenkräder am Kurveneingang.
  • Beschleunigen verlagert Gewicht nach hinten (Squat-Effekt), entlastet die Vorderachse und kann bei falschem Einsatz zu Untersteuern führen.

Empfehlung: Analysieren Sie jeden Brems- und Gasvorgang als gezielte Gewichtsverlagerung, um die Haftung jedes einzelnen Reifens aktiv zu managen, anstatt nur Geschwindigkeit zu regulieren.

Für ambitionierte Sportfahrer ist die Jagd nach der perfekten Runde eine Obsession. Man investiert in bessere Reifen, optimiert das Fahrwerk und studiert die Ideallinie. Doch die fundamentalste Wahrheit der Fahrphysik wird oft auf eine simple Regel reduziert: „Vor der Kurve bremsen, am Scheitelpunkt Gas geben.“ Dieser Ansatz ist nicht falsch, aber er kratzt nur an der Oberfläche. Er behandelt Bremsen und Beschleunigen als separate Schalter für „langsamer“ und „schneller“, anstatt sie als das zu erkennen, was sie wirklich sind: präzise Instrumente zur Steuerung der dynamischen Radlastverteilung.

Das eigentliche Geheimnis liegt nicht in der Frage, *ob* Sie bremsen, sondern *wie* und *wie lange*. Jede Betätigung des Bremspedals oder des Gaspedals löst eine Gewichtsverlagerung aus – eine unsichtbare Kraft, die den Anpressdruck und damit das verfügbare Grip-Niveau jedes einzelnen Reifens dramatisch verändert. Ein Fahrzeug ist kein starrer Block, sondern ein lebendiges System, das auf jede Ihrer Aktionen reagiert. Die wahre Kunst des schnellen Fahrens besteht darin, dieses System zu beherrschen und das Gewicht bewusst dorthin zu lenken, wo es am meisten gebraucht wird.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten den Grip Ihrer Vorderreifen am Kurveneingang gezielt erhöhen, nur durch die Art und Weise, wie Sie vom Bremspedal gehen. Genau das ist möglich. Dieser Artikel durchbricht die vereinfachten Regeln und nimmt Sie mit in die Denkweise eines Renningenieurs. Wir werden die Fahrzeugdynamik nicht als eine Liste von Geboten betrachten, sondern als ein physikalisches System, das Sie zu Ihrem Vorteil manipulieren können. Sie werden lernen, das Gewicht Ihres Fahrzeugs als Ihr wichtigstes Werkzeug zu begreifen, um die Grenzen der Haftung neu zu definieren und Ihre Kurvengeschwindigkeit fundamental zu steigern.

In den folgenden Abschnitten analysieren wir die physikalischen Zusammenhänge hinter den entscheidenden Fahrtechniken. Von der Kunst des Hineinbremsens in die Kurve über die Beherrschung von Lastwechselreaktionen bis hin zur Analyse Ihrer eigenen Leistung mittels Telemetrie – dieser Leitfaden gibt Ihnen die Werkzeuge an die Hand, um Grip nicht nur zu finden, sondern ihn gezielt zu generieren.

In die Kurve hineinbremsen: Wie lange bleiben Sie auf der Bremse, bis zum Scheitelpunkt?

Die traditionelle Lehre besagt, der Bremsvorgang muss vor dem Einlenken vollständig abgeschlossen sein. Für einen sicheren Fahrstil im Alltag ist das korrekt, auf der Rennstrecke lassen Sie damit jedoch wertvolles Potenzial ungenutzt. Die Technik des „Trail Braking“ oder Hineinbremsens in die Kurve ist der Schlüssel, um die dynamische Radlastverteilung zu Ihrem Vorteil zu nutzen. Wenn Sie bremsen, nickt das Fahrzeug nach vorne („Dive“). Dieses Nicken ist eine Gewichtsverlagerung auf die Vorderachse, die den Anpressdruck der Vorderreifen erhöht und somit deren Grip-Potenzial, den sogenannten „Haftungskreis“, vergrößert. Gerade bei Motorrädern ist die Beherrschung der Kurvenfahrt überlebenswichtig, denn ihr Risiko ist laut einer ADAC-Unfallstatistik aus dem Jahr 2024 viermal höher als das von Autofahrern.

Die Frage ist also nicht, *ob* Sie bis zum Scheitelpunkt auf der Bremse bleiben, sondern *mit wie viel Druck*. Der maximale Bremsdruck wird auf der Geraden vor der Kurve aufgebracht. Während Sie einlenken, reduzieren Sie den Bremsdruck progressiv. Sie tauschen quasi Bremsleistung gegen Seitenführungskraft. Der leichte, schleifende Bremsdruck hält das Gewicht auf der Vorderachse und stabilisiert das Fahrzeug. Er gibt Ihnen das Gefühl einer „eingepflanzten“ Frontpartie und ermöglicht präzisere Lenkmanöver. Die Kunst besteht darin, die Bremse exakt am Scheitelpunkt vollständig zu lösen, wenn die maximale Seitenführungskraft benötigt wird und der Übergang zur Beschleunigungsphase beginnt.

Es geht hier nicht um einen brutalen Bremsvorgang bis in die Kurvenmitte. Der legendäre Fahrlehrer Nick Ienatsch beschreibt, dass er beim Trail Braking oft nur etwa 4 % der maximalen Bremskraft nutzt. Es ist ein feinfühliges Instrument, das den entscheidenden Unterschied macht. Diese Technik verlangt Übung und ein gutes Gefühl für die Haftungsgrenze, aber sie ist der erste Schritt, um das Gewicht aktiv als Werkzeug zu nutzen, anstatt es nur als passive Masse zu betrachten.

Warum Gas geben, wenn das Auto schiebt, den Fehler nur schlimmer macht?

Jeder ambitionierte Fahrer kennt dieses frustrierende Gefühl: Sie lenken in eine Kurve ein, aber das Fahrzeug will nicht einlenken und schiebt über die Vorderräder geradeaus. Dieses Verhalten nennt man Untersteuern. Es tritt auf, wenn die Vorderreifen ihren maximalen Grip (ihren Haftungskreis) überschreiten und anfangen zu rutschen. Ein häufiger, instinktiver Fehler ist es, in dieser Situation Gas zu geben – in der Hoffnung, das Fahrzeug „durch die Kurve zu ziehen“. Physikalisch betrachtet ist das jedoch genau das Falsche und verschlimmert das Problem dramatisch.

Vogelperspektive eines Allrad-Sportwagens mit visualisierten Kraftvektoren an den Rädern während einer Kurvenfahrt, die das Untersteuern illustrieren.

Wenn Sie Gas geben, geschieht genau das Gegenteil von dem, was Sie beim Bremsen erreichen: Das Fahrzeuggewicht verlagert sich nach hinten auf die Hinterachse. Die Front wird entlastet, der Anpressdruck auf den Vorderrädern sinkt. Die Vorderreifen, die bereits am Limit ihrer Haftung sind, verlieren dadurch noch mehr Grip. Ihr Grip-Budget wird kleiner, während Sie versuchen, mehr Leistung zu übertragen – eine unmögliche Aufgabe. Das Untersteuern verstärkt sich, und der Radius, den das Fahrzeug fährt, wird noch größer. Sie entfernen sich weiter von der Ideallinie.

Die korrekte Reaktion auf Untersteuern ist subtil und oft kontraintuitiv. Anstatt Gas zu geben, sollten Sie das Gaspedal sanft lupfen oder die Gasstellung konstant halten. Gleichzeitig müssen Sie den Lenkwinkel leicht reduzieren, also die Lenkung ein wenig „öffnen“. Dadurch verringern Sie die auf die Vorderreifen wirkenden Seitenführungskräfte und geben ihnen die Chance, wieder Grip aufzubauen. Sobald die Front wieder „beißt“ und das Fahrzeug einlenkt, können Sie progressiv wieder Gas anlegen, um aus der Kurve heraus zu beschleunigen. Gasgeben bei Untersteuern ist ein Kampf gegen die Physik – ein Kampf, den Sie immer verlieren werden.

Squat-Effekt: Warum entlastet Beschleunigen die Vorderachse und macht die Lenkung leicht?

Während das Bremsen ein Nicken des Fahrzeugs nach vorne verursacht („Dive“), bewirkt das Beschleunigen das genaue Gegenteil: das Heck des Fahrzeugs federt ein, die Front hebt sich an. Dieser Effekt wird als „Squat“ (Einfedern) bezeichnet. Aus Sicht der Fahrphysik ist dies eine dynamische Gewichtsverlagerung von der Vorder- zur Hinterachse. Für den Fahrer manifestiert sich dies in einem spürbaren Gefühl: Die Lenkung wird leichter, das Feedback von der Vorderachse nimmt ab. Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Vorderreifen an Anpressdruck und somit an Grip verlieren.

Dieser Effekt ist bei Fahrzeugen mit weicher Serienabstimmung besonders ausgeprägt. Sportfahrwerke versuchen, diesem Verhalten entgegenzuwirken. Eine typische 15-25 mm Tieferlegung bei einem BMW M-Fahrwerk senkt nicht nur den Schwerpunkt, sondern verwendet auch straffere Federn und Dämpfer, um die Nick- und Wankbewegungen – und damit den Squat-Effekt – zu reduzieren. Ein gut eingestelltes Fahrwerk macht das Fahrzeug nicht nur schneller, sondern vor allem berechenbarer. Es minimiert die Gewichtsverlagerungen und sorgt dafür, dass das Grip-Niveau an allen vier Rädern konstanter bleibt.

Die folgende Tabelle verdeutlicht, wie unterschiedliche Fahrwerkstypen das Squat-Verhalten und den damit verbundenen Grip-Verlust an der Vorderachse beeinflussen, basierend auf einer vergleichenden Analyse von Fahrwerksabstimmungen.

Vergleich von Fahrwerkstypen und ihrem Einfluss auf das Squat-Verhalten
Fahrwerkstyp Federweg Squat-Effekt Grip-Verlust VA
Serienfahrwerk Normal Stark ausgeprägt Hoch
Sportfahrwerk Reduziert Moderat Mittel
Gewindefahrwerk Einstellbar Kontrollierbar Gering

Für den Fahrer bedeutet das Verständnis des Squat-Effekts, das Gaspedal nicht nur als Instrument zur Geschwindigkeitssteigerung zu sehen. Am Kurvenausgang muss das Gas progressiv und gefühlvoll eingesetzt werden. Ein zu abrupter Gasstoß kann die Vorderachse so stark entlasten, dass das Fahrzeug untersteuert und aus der Kurve getragen wird – selbst wenn die Geschwindigkeit eigentlich angemessen wäre. Das Gewicht ist Ihr Werkzeug, und der Squat-Effekt ist eine seiner wichtigsten Verhaltensweisen.

Wann stabilisiert ein leichter Gasstoß das Fahrzeug in einer unruhigen Passage?

Bisher haben wir Gasgeben primär als Ursache für eine Gewichtsverlagerung nach hinten betrachtet. Es gibt jedoch Situationen, in denen ein leichter, konstanter Gasstoß – oft nur das Halten einer minimalen Zugkraft – eine enorm stabilisierende Wirkung auf das gesamte Fahrzeug hat. Dies gilt insbesondere in schnellen Wechselkurven, auf unebener Fahrbahn oder in Passagen, in denen das Fahrzeug zu „schwimmen“ droht. Warum ist das so? Weil sich Kurven, wie ein erfahrener Fahrer es ausdrückt, „unter Zug, d.h. mit angelegtem Gas, sicherer fahren lassen, als wenn das Motorrad untertourig hindurchdümpelt.“

Physikalisch betrachtet hat das Halten des Fahrzeugs „unter Zug“ mehrere Vorteile. Erstens wird der gesamte Antriebsstrang auf Spannung gehalten. Spiel im Getriebe, in den Antriebswellen und Differenzialen wird eliminiert. Dadurch reagiert das Fahrzeug direkter auf Lastwechsel, anstatt mit einer leichten Verzögerung, die Unruhe ins Fahrwerk bringen kann. Zweitens wird durch die leichte Zugkraft die Fahrwerksgeometrie stabilisiert. Die Federn und Dämpfer werden in eine definierte Arbeitsposition vorgespannt. Das Fahrzeug reagiert so berechenbarer auf Bodenwellen oder schnelle Lenkimpulse.

In einer schnellen S-Kurve beispielsweise, bei der ein abrupter Lastwechsel von links nach rechts stattfindet, kann ein Moment des Rollens ohne Gas oder Bremse zu einer unkontrollierten Pendelbewegung führen. Hält der Fahrer jedoch eine minimale Gasstellung bei, bleibt das Fahrwerk gesetzt und der Lastwechsel erfolgt kontrollierter und schneller. Es geht nicht darum zu beschleunigen, sondern darum, den Antriebsstrang zu verspannen und die Kräfte im Gleichgewicht zu halten. Dieser leichte Gasstoß ist das Werkzeug des Experten, um das Fahrzeug in kritischen Phasen zu beruhigen und die Kontrolle zu behalten, wenn andere Fahrer vom Gas gehen und Instabilität provozieren würden.

Entlastete Räder haben keinen Grip: Wie fahren Sie über Kuppen, ohne abzufliegen?

Das extremste Beispiel für eine dynamische Entlastung ist das Fahren über eine Kuppe. In dem Moment, in dem das Fahrzeug die Kuppe überquert, wird es kurzzeitig leicht – im Extremfall hebt es sogar ab. In dieser Phase ist der Anpressdruck auf die Reifen minimal oder gleich null. Die goldene Regel der Fahrphysik lautet: Ohne Anpressdruck gibt es keinen Grip. Ein entlastetes Rad kann weder Brems- noch Lenk- noch Antriebskräfte übertragen. Jede abrupte Aktion in diesem Moment – sei es eine starke Bremsung, eine heftige Lenkbewegung oder ein plötzlicher Gasstoß – führt unweigerlich zum Kontrollverlust.

Seitliche Ansicht eines Motorrads vor einer Kuppe mit komprimierter Federung, die die Vorbereitung auf die Entlastung zeigt.

Die Vorbereitung ist alles. Die Geschwindigkeit muss *vor* der Kuppe angepasst werden. Ein kurzes, leichtes Anbremsen unmittelbar vor dem höchsten Punkt komprimiert die Federung, stabilisiert das Fahrzeug und minimiert die Ausfederbewegung auf der Kuppe selbst. Der Blick des Fahrers ist dabei entscheidend: Er sollte nicht auf die Kuppe fixiert sein, sondern weit voraus auf den „Lande-“ bzw. Aufsetzpunkt danach. Während der Überfahrt ist absolute Ruhe gefragt: Gasstellung konstant halten, Lenkung gerade. Jede Hektik wird sofort bestraft.

Besonders auf Strecken wie der Nürburgring-Nordschleife mit berühmten Passagen wie dem „Flugplatz“ oder dem „Pflanzgarten“ ist die Beherrschung von Kuppen überlebenswichtig. Die folgende Checkliste fasst die Technik zusammen, die von erfahrenen Nordschleifen-Piloten angewendet wird.

Aktionsplan: Die Nordschleifen-Technik für Kuppen

  1. Vorbereitung: Passen Sie die Geschwindigkeit 50-100 Meter vor der Kuppe an, nicht direkt auf der Kuppe selbst.
  2. Kompression: Bremsen Sie kurz und leicht an, um die Federung zu komprimieren und das Fahrzeug für die Entlastungsphase zu stabilisieren.
  3. Blickführung: Richten Sie Ihren Blick weit voraus auf den Punkt, an dem das Fahrzeug nach der Kuppe wieder voll aufsetzt, nicht auf die Kuppe selbst.
  4. Konstanz: Halten Sie die Gasstellung und den Lenkwinkel während der Überfahrt absolut konstant. Vermeiden Sie jegliche abrupte Bewegung.
  5. Landung: Sobald der volle Bodenkontakt wiederhergestellt ist und das Fahrwerk sich gesetzt hat, beschleunigen Sie wieder progressiv.

Fronttriebler-Setup: Wie bekommen Sie die Leistung beim Herausbeschleunigen auf den Boden?

Fahrzeuge mit Frontantrieb (FWD) stellen den Fahrer und Ingenieur vor eine besondere Herausforderung: Die Vorderräder sind gleichzeitig für die Lenkung und den Antrieb zuständig. Ihr „Grip-Budget“ muss also zwischen Seitenführungs- und Längskräften aufgeteilt werden. Das Problem verschärft sich am Kurvenausgang: Wenn Sie stark beschleunigen, tritt der bereits beschriebene Squat-Effekt ein. Das Gewicht verlagert sich nach hinten, die antreibenden Vorderräder werden entlastet und neigen zum Durchdrehen. Die Leistung verpufft in Reibungsrauch, anstatt in Vortrieb umgesetzt zu werden.

Um diesem Effekt entgegenzuwirken, gibt es mehrere Ansätze. Eine grundlegende Maßnahme im Setup ist die Anpassung des Reifendrucks. Für den Rennstreckeneinsatz wird bei Fronttrieblern oft ein um 0,2-0,3 bar geringerer Reifendruck (kalt) an der Vorderachse empfohlen. Ein niedrigerer Druck vergrößert die Aufstandsfläche des Reifens und verbessert die mechanische Haftung, was dem Durchdrehen entgegenwirkt. Fahrwerkstechnisch kann durch eine straffere Abstimmung der Hinterachse und eine leicht weichere Abstimmung der Vorderachse die Gewichtsverlagerung nach hinten reduziert werden.

Auch die Fahrtechnik ist entscheidend. Anstatt am Scheitelpunkt abrupt das Gaspedal voll durchzutreten, muss der Fahrer eines Fronttrieblers besonders progressiv und sanft beschleunigen. Er muss das Lenkrad langsam „öffnen“, während er das Gas erhöht. Dies reduziert die Anforderungen an die Seitenführungskraft und gibt dem Reifen mehr Budget für die Längsbeschleunigung. Der Einsatz eines Sperrdifferenzials ist zudem die effektivste Hardware-Lösung: Es verteilt die Antriebskraft zwischen dem kurveninneren, entlasteten Rad und dem kurvenäußeren, belasteten Rad und verhindert so, dass das innere Rad hilflos durchdreht.

Der „Skandinavian Flick“: Wann und wie setzen Sie das Anpendeln effektiv ein?

Der „Scandinavian Flick“, auch als Lastwechselpendel bekannt, ist eine Fahrtechnik aus dem Rallyesport, die auf losem Untergrund (Schotter, Schnee) eingesetzt wird, um das Fahrzeug gezielt ins Übersteuern zu bringen und es so agiler um enge Kurven zu bewegen. Die Technik ist so legendär wie riskant. Sie funktioniert durch einen schnellen, provozierten Lastwechsel: Der Fahrer lenkt kurz von der Kurve weg und dann abrupt in die Kurve hinein. Dieser Pendelschlag erzeugt eine massive Gewichtsverlagerung, die das Heck zum Ausbrechen bringt.

Auf Asphalt ist diese Technik jedoch extrem gefährlich und im normalen Rennbetrieb absolut tabu. Der Grund liegt im Kammscher Kreis: Auf Asphalt ist der Grip so hoch, dass die provozierten Kräfte die Haftungsgrenze der Reifen schlagartig überschreiten. Ein kontrolliertes Manöver ist kaum möglich; das Ergebnis ist meist ein unkontrollierbarer Dreher oder ein heftiger Einschlag. Wie ein Fahrsicherheitstrainer warnt: „Die meisten Motorradunfälle sind Alleinunfälle. Und die meisten davon wiederum aufgerichtet in die Leitplanke.“ Dies verdeutlicht, was passiert, wenn die Kontrolle über die Seitenführungskräfte verloren geht.

Die meisten Motorradunfälle sind Alleinunfälle. Und die meisten davon wiederum aufgerichtet in die Leitplanke.

– ADAC Fahrsicherheitstrainer und Verkehrspolizist, Motorrad Online 24 Forum

Die einzige denkbare Anwendung auf befestigter Strecke wäre in einer extrem engen Haarnadelkurve bei sehr niedriger Geschwindigkeit, zum Beispiel bei einem Auto-Slalom, um einen Fronttriebler zum Eindrehen zu zwingen. Doch selbst hier ist das Risiko enorm hoch. Der Scandinavian Flick ist ein perfektes Beispiel für eine Technik, die die physikalischen Grenzen bewusst überschreitet. Er ist kein Werkzeug für die Jagd nach Rundenzeiten auf der Rennstrecke, sondern eine Demonstration der extremen Konsequenzen eines provozierten, heftigen Lastwechsels. Ihn zu verstehen, hilft vor allem dabei zu erkennen, welche Kräfte man im Normalfall unbedingt vermeiden sollte.

Das Wichtigste in Kürze

  • Gewicht als Werkzeug: Jede Brems- und Gasbetätigung ist eine aktive Gewichtsverlagerung, die Sie nutzen müssen, um den Grip gezielt zu steuern.
  • Trail Braking für Kurveneingang: Das Hineinbremsen in die Kurve stabilisiert das Fahrzeug, erhöht den Grip an der Vorderachse und ermöglicht ein präziseres Einlenken.
  • Gas für Stabilität und Ausgang: Ein leichter Zug am Gas stabilisiert das Fahrwerk in unruhigen Passagen, während progressives Gasgeben am Ausgang die Traktion maximiert, ohne die Front zu entlasten.

Wie lesen Sie Telemetriedaten, um auf der Nordschleife 10 Sekunden schneller zu werden?

Alle bisher besprochenen Techniken basieren auf dem Gefühl des Fahrers. Aber Gefühl kann trügen. Um wirklich zu verstehen, was auf der Strecke passiert, und um konstant schneller zu werden, ist die Analyse von Telemetriedaten unerlässlich. Moderne Apps wie RaceChrono, kombiniert mit einem externen GPS-Empfänger, machen diese Technologie für jeden ambitionierten Fahrer zugänglich. Es geht nicht darum, sich in einem Meer von Zahlen zu verlieren, sondern darum, die richtigen Datenpunkte zu betrachten, um die eigene Fahrtechnik zu validieren und zu verbessern.

Ein externes GPS mit hoher Aktualisierungsrate (z. B. 20 Hz) ist dabei entscheidend. Während das 1-Hz-GPS eines Telefons nur eine grobe Punkt-zu-Punkt-Linie zeichnet, liefert ein präzises GPS glatte, exakte Kurvenlinien. Sie können Ihre Ideallinie mit der von schnelleren Fahrern überlagern und genau sehen, wo Sie am Kurveneingang, Scheitelpunkt und Ausgang positioniert sind. Analysieren Sie die Graphen für Geschwindigkeit, Längs- und Querbeschleunigung. Wo haben Sie zu früh gebremst? Wo haben Sie gezögert, ans Gas zu gehen? Der Geschwindigkeitsgraph sollte am Scheitelpunkt seinen tiefsten Punkt haben und danach stetig ansteigen – ein „V“ statt ein „U“ deutet auf zu langes Rollen hin.

Auf der Nordschleife, wo Rundenzeiten oft diskutiert werden, ist Präzision besonders wichtig. Viele Magazin-Tests messen „Bridge-to-Gantry“ (BTG) Zeiten, die einen Zeitvorteil von 5-7 Sekunden gegenüber einer vollen Runde bedeuten, da der lange Start-Ziel-Abschnitt T13 entfällt. Bei der Analyse Ihrer eigenen Rundenzeiten ist es wichtig, solche Details zu kennen. Telemetrie hilft Ihnen, über die reine Rundenzeit hinauszuschauen. Sie zeigt Ihnen das *Wie* und *Warum* hinter Ihrer Performance. Finden Sie die eine Kurve, in der Sie durch sanfteres Bremsen 0,2 Sekunden gewinnen. Finden Sie die Passage, in der Sie durch früheren Gaseinsatz 5 km/h mehr am Ausgang mitnehmen. Multipliziert über 73 Kurven sind das die 10 Sekunden, die Sie suchen.

Die Datenanalyse ist der letzte Schritt zur Perfektionierung Ihrer Technik. Ein tiefes Verständnis, wie Sie Telemetriedaten zur Optimierung Ihrer Rundenzeit nutzen, verwandelt Gefühl in Fakten und macht Sie zu einem kompletteren Fahrer.

Nachdem Sie nun die physikalischen Prinzipien der dynamischen Radlastverteilung und die daraus abgeleiteten Fahrtechniken verstanden haben, ist der nächste Schritt die konsequente Anwendung und Analyse. Betrachten Sie jede Fahrt als eine Trainingseinheit. Fokussieren Sie sich auf eine Technik pro Stint – sei es das Trail Braking oder das progressive Beschleunigen am Kurvenausgang. Analysieren Sie Ihre eigene Fahrweise durch die Linse eines Renningenieurs und beginnen Sie, das Gewicht Ihres Fahrzeugs als Ihr wichtigstes und effektivstes Werkzeug zu nutzen, um die Grenzen der Haftung neu zu definieren.

Geschrieben von Lukas Weber, Diplom-Ingenieur für Fahrzeugtechnik mit Schwerpunkt Aerodynamik und Fahrwerksentwicklung. Über 12 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Hochleistungsfahrzeugen bei einem süddeutschen Premiumhersteller.